Wie in Berlin Geflüchtete aus der Ukraine bevorzugt und andere aus ihren Unterkünften verdrängt werden
Von Carmela Negrete

Quelle: Berliner Anstoss 02/2022

Von dort sollten die Flüchtlinge in ganz Deutschland verteilt werden. Doch offenbar musste die zuständige Behörde Familien aus ihren Wohnungen zerren, die teilweise dort jahrelang gelebt hatten. »Die Menschen gerieten in Panik, mussten ihre Unterkunft binnen kürzester Zeit verlassen«, sagt eine Mitarbeiterin, die ungenannt bleiben möchte, im Gespräch mit dieser Zeitung. »Wir mussten zwei Krankenwagen rufen, weil mehrere Menschen Panikattacken erlitten«. Auch diese Menschen sind »Kriegsflüchtlinge, auch sie sind traumatisiert und mussten nun ertragen, dass sie ihre Wohnungen und das bisschen Sicherheit, das sie hatten, von heute auf morgen verloren«. Die Mitarbeiterin sagt, das habe alle Altersklassen betroffen, Alte, Neugeborene, Schulkinder, die aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen wurden. »Alle mussten ihren Habseligkeiten in nur wenigen Stunden packen und erhielten dabei nicht mal Hilfe vom Amt«. Die Mitarbeiter seien bis spät in der Nacht bei den Bewohnern geblieben, hätten ihnen geholfen, eine Umzugsmöglichkeit zu finden.


Flüchtlinge überwiegend aus Syrien und Afghanistan, aber auch aus dem Balkan, aus Moldau und der Türkei und anderen Ländern hatten dort aufgrund der Wohnungsknappheit und einer rassistischen Vergabepraxis der Vermieter teilweise sehr lange Zeit gelebt. Doch dann: »Alle Integrationsprojekte wurden suspendiert, Kurse abgebrochen, Kitaplätze mussten gekündigt werden. Eine absolute Katastrophe«. Einige der Bewohner seien nun in anderen Stadtteilen untergebracht, so dass nun nicht einmal die Jobcenter-Anträge gültig seien. »Sie müssen jetzt bei null anfangen.«
Eine offizielle Erklärung, warum sie ihre Wohnungen räumen müssen, haben die Bewohner nicht erhalten, sagt die anonym bleibende Mitarbeiterin. Es entsteht der Eindruck, dass sie raus mussten, um Platz für andere, höher wertgeschätzte Flüchtlinge zu machen, etwa aus der Ukraine. Das zuständige Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat auf entsprechende Anfragen des Anstoß nicht reagiert. Der Spiegel allerdings erhielt vom Amt die Information, dass eine solche Aufräumaktion bereits in acht Flüchtlingsunterkünften durchgeführt wurde. Betroffen waren rund 800 Menschen. Das LAF habe den Menschen eine Frist von 48 Stunden gegeben, um den Umzug zu organisieren, und dafür Busse zur Verfügung gestellt. Dahingestellt, ob auch der Hausrat etlicher Familien in einem Bus passt.
Der Bericht im Spiegel bestätigt, was die Mitarbeiterin dem Berliner Anstoß erzählt hat, auch, dass manche Flüchtlinge medizinische Hilfe infolge eines Nervenzusammenbruchs benötigten. Ein Problem besteht laut dem Wochenblatt darin, dass das LAF immer noch Menschen unterbringt, für die es nicht mehr zuständig ist, weil diesen Menschen bereits das Asyl bewilligt worden ist, sie aber keine bezahlbare Wohnung finden. Offenbar ist die Behörde nun mit der Unterbringung der Ukrainer überfordert, scheint aber trotzdem kein Problem damit zu haben, Integration, soziale Kontakte und ein gewisses Maß an Stabilität im Leben der Geflüchteten, die zum Teil selbst aus Kriegsgebieten kommen, zu missachten.
Seit der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar sind laut UNHCR mit Datum vom 1. April mehr als vier Millionen Menschen geflohen. In Polen beklagten viele Flüchtende aus Afrika, die in der Ukraine gelebt hatten, dass ihnen die Ausbzw. Einreise erschwert wurde. Zudem gab es Berichte, dass afrikanische Studenten inhaftiert wurden. An der Südgrenze Europas ist das Alltag. Die spanische Polizei geht mit Knüppeln gegen Flüchtlinge aus Afrika vor, die versuchen, Spanien über den Grenzzaun zur Exklave Melilla zu erreichen. Diese Unterschiede wurde in etlichen Medien in rassistischer Manier gerechtfertigt. »Das sind nicht syrische Flüchtlinge, sondern Flüchtlinge aus dem Nachbarland Ukraine. Sind weiß und christlich und ähneln uns sehr« (NBC), »Das ist nicht der Irak oder Afghanistan, wo es seit Jahrzehnten Konflikte gibt, sondern ein zivilisiertes europäisches Land« (CBS). »Es werden Menschen ermordet, die blond und europäisch sind« (BBC). »Das sind nicht die Kinder, deren Leid zu sehen, wir gewohnt sind. Nein, sie sind blond und haben blaue Augen, das ist sehr wichtig« (La Sexta).
Nun hat die Diskriminierung offiziell Deutschland erreicht, und Ukrainer sollen schneller als alle andere Flüchtlinge Bleibe und Arbeit finden. Ganz offensichtlich beteiligt sich Berlin mit seinem »progressiven« rot-rot-grünen Senat an diesem hässlichen Spiel der Spaltung.