Buch
Duell in Berlin
Dass einer zum Duell aufgefordert wird, mag im 19. Jahrhundert ja noch angängig gewesen sein. Aber im Berlin der Jetztzeit? Und doch, ein Mann will auf der Polizeiwache am Alexanderplatz Anzeige erstatten, weil ihm genau das passiert sei. Die derart überraschte Kommissarin hält das für einen schlechten Scherz, erinnert daran, dass die Kultur des zivilisierten gegenseitigen Totschießens ausgestorben sei, und weigert sich, in einem Fall zu ermitteln, den es offenbar gar nicht gibt. So beginnt Rayk Wielands Roman »Beleidigung dritten Grades«. Der Beleidigte, ein Antiquar, der sich manisch in die Geschichte des Duells eingegraben hat, verlangt Genugtuung von einem Psychiater, der ihm die Freundin ausgespannt hat. Eine absurde und absurd-komische Erzählung, die sich mit der Geschichte des letzten deutschen Duells verschränkt, als 1937 in Hohenlychen, unweit von Berlin zwei Nazis aufeinander schossen. (jr)
Rayk Wieland: Beleidigung dritten Grades. Roman, Verlag Antje Kunstmann, München 2022, 366 Seiten, 24 Euro
Ausstellung
Das deutsche Gefühl
Erst Marx, jetzt Wagner. Das Deutsche Historische Museum will das 19. Jahrhundert anhand zweier Persönlichkeiten erklären, die beide auf ihre Weise den aufblühenden Kapitalismus reflektierten. Hier der Denker und Durchdringer der Ausbeutungsstrukturen, der Revolutionär, der auf den Schultern der Aufklärer und Idealisten stand, dort der Tonsetzer der romantischen Musik, der Gefühlstechniker und Antisemit sans phrase. Die jetzt eröffnete Ergänzung zu »Karl Marx und der Kapitalismus« »Richard Wagner und das deutsche Gefühl« zu nennen, scheint schon mal nicht verkehrt. Leser dieser Zeitung dürften bisher vermutlich nicht auf den Gedanken verfallen sein, diese beiden Figuren des vorvergangenen Jahrhunderts in Verbindung zu setzen. Oder hören Sie den »Ring«, während Sie das »Kapital« lesen? Vielleicht springt beim Besuch der Expositionen ja die eine oder andere Erkenntnis heraus. Garantiert ist das nicht. (db)
Richard Wagner und das deutsche Gefühl, Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, noch bis zum 11. September, Eintritt 8 Euro
Bühne
Der Hofmeister
Nach ihrer Rückkehr aus dem Exil gründen Bertolt Brecht und Helene Weigel 1949 das Berliner Ensemble. Weil das ihnen zugedachte Theater am Schiffbauerdamm einstweilen vergeben ist, kommt die Truppe am Deutschen Theater unter. Hier feiert am 15. April 1950 in den Kammer- spielen »Der Hofmeister« Premiere. Mit seiner Bearbeitung des Dramas von Jakob Michael Reinhold Lenz entdeckt Brecht nicht nur den bis dahin weithin vergessenen Sturm und Drang-Dichter für die Gegenwart wieder. Die Beschäftigung mit dem genialischen Außenseiter ist zugleich auch ein Einspruch gegen die von ihm als spießbürgerlich empfundene Kulturpolitik der SED. Bei einer der damaligen Aufführungen entstehen Szenenfotos, in kurzem Takt geschossen, die zu einem Film montiert werden. Auf dessen Basis nähern sich Tom Kühnel und Jürgen Kuttner dieser Geschichte eines Erziehers, der sich selbst kastriert, um gesellschaftsfähig zu werden. (dt)
Der Hofmeister (von Bertolt Brecht), Deutsches Theater, Termine: 28. April und 30. Mai
Straßenfest
DKP feiert
Eine Einladung an alle: Die DKP Wedding und die SDAJ Berlin stellen auch in diesem Jahr ihr schon traditionelles Straßenfest auf die Beine. Es findet unter dem Motto »Kiezfest Wedding – Feiern für eine bezahlbare Stadt« am ersten Juli- wochenende wie in den Vorjahren auf dem Platz der Kreuzung von Malplaquetstraße und Utrechter Straße statt.
Neben Getränken, d. h. unter anderem den allseits besonders beliebten Cocktails kubanischer Art, werden Imbiss, und Musik – Live und aus der Dose – verabreicht, aber es soll auch um Politik gehen: Auf einem Podium mit Sachverständigen diskutieren wir das Problem, das für viele Menschen gegenwärtig zu einer Existenzfrage wird – die Explosion der Preise für Energie und Lebensmittel. Der Raubzug der Konzerne der Öl-, Gas- und Kohleindustrie begann lange vor dem Krieg in der Ukraine. Daher startete die DKP im Herbst 2021 ihre Kampagne »Hungern oder Frieren? – Energiepreise stoppen! RWE und Co. enteignen!«. Wir wollen eine erste Bilanz ziehen und überlegen, was wir gemeinsam tun können. (as)
Kiezfest Wedding, 2. Juli 2022, von 15 bis 22 Uhr, Malplaquetstraße Ecke Utrechter Straße, Eintritt frei
s.a.: Termine
Veranstaltungsreihe
Lebendige Bibliothek
Bibliotheken sammeln, erschließen, bewahren und machen Informationen verfügbar. Sie sind eher Orte der Ruhe als solche der Begegnung. Deshalb klingt etwas ungewöhnlich, das »lebendige Kiezbibliothek« heißt. Was ist das? Dies: »Eine lebendige Bibliothek besteht aus Menschen statt aus Büchern – Menschen mit Geschichten. Konkret triffst Du hier auf alte und neue Nachbarn mit Migrations- und Fluchtgeschichte und/oder mit ostdeutscher Biographie. Du erzählst ihnen Deine Geschichte und hörst ihre – welche Gemeinsamkeiten gibt es? Welche Unterschiede? Was überrascht Dich?« So steht es auf der Webseite der Initiative. Entstanden ist die Idee, als die Migrationsforscherin Naika Foroutan 2018 sagte, dass Ostdeutsche und migrantische Personen eine ähnliche Form von Ausgrenzung und Identitätsverlust erlebten. Inzwischen werden regelmäßige Veranstaltungen zum gemeinsamen Austausch organisiert. Bibliotheken im Berliner Osten werden zu Begegnungsstätten. (ae)